Immer weniger Leute wollen pro Woche vier Tage beim Klienten und drei Nächte im Hotel verbringen. Aber Beratung findet eben in der realen Welt statt.

Alois Czipin

GELUNGENER START. Im November 1978 treffe ich die mutige Entscheidung, Produktivitätsberater zu werden. Das heißt, am Sonntagnachmittag die Koffer zu packen, irgendwohin zu fliegen und erst am Freitagabend wieder nach Hause zu kommen. Ganz zu schweigen von Überseeeinsätzen, die eine Rückkehr in die Heimat nur alle sechs bis acht Wochen vorsehen. So etwas ist nicht einfach für eine junge Ehe und Familie, aber ich verstehe, dass Klienten die Berater, für die sie viel Geld bezahlen, auch im Unternehmen sehen und spüren wollen.
Im September 1985 treffe ich die nächste mutige Entscheidung: mit 29 Jahren mein eigenes Unternehmen zu gründen. Wenig später gelingt mir die Akquisition eines ersten Auftrags für ein mittelständisches Unternehmens mit ca. 500 Mitarbeiter:innen. Ich fahre bis oben hin voll mit Glückshormonen nach Hause.

Immer weniger Leute wollen pro Woche vier Tage beim Klienten und drei Nächte im Hotel verbringen. Aber Beratung findet eben in der realen Welt statt.

Alois Czipin

GELUNGENER START. Im November 1978 treffe ich die mutige Entscheidung, Produktivitätsberater zu werden. Das heißt, am Sonntagnachmittag die Koffer zu packen, irgendwohin zu fliegen und erst am Freitagabend wieder nach Hause zu kommen. Ganz zu schweigen von Überseeeinsätzen, die eine Rückkehr in die Heimat nur alle sechs bis acht Wochen vorsehen. So etwas ist nicht einfach für eine junge Ehe und Familie, aber ich verstehe, dass Klienten die Berater, für die sie viel Geld bezahlen, auch im Unternehmen sehen und spüren wollen.
Im September 1985 treffe ich die nächste mutige Entscheidung: mit 29 Jahren mein eigenes Unternehmen zu gründen. Wenig später gelingt mir die Akquisition eines ersten Auftrags für ein mittelständisches Unternehmens mit ca. 500 Mitarbeiter:innen. Ich fahre bis oben hin voll mit Glückshormonen nach Hause.

Bei einer Frage bilden sich Schweißperlen auf meiner Stirn: „Wer wird die Analyse machen?“ Ich brauche zwei Mitarbeiter:innen und habe keine Ahnung, wo ich die finden soll.
Zu Hause nehme ich die Wochenendausgabe der „Salzburger Nachrichten“ zur Hand. Ich studiere den Anzeigenteil, als mir eine kleine Annonce in die Augen sticht: Das Akademikerservice des Arbeitsamtes bietet seine Dienste an. Ich habe zwar keine große Hoffnung, melde mich aber dort – und siehe da: Einige Lebensläufe werden mir zugeschickt. Es gelingt mir, innerhalb von zwei Wochen zwei Akademiker als erste Berater für mein junges Unternehmen Czipin & Partner zu gewinnen. Der Start ist somit gelungen; 25 erfolgreiche Jahre schließen sich daran an. Ich habe in dieser Zeit viele Herausforderungen zu meistern. Mitarbeiter:innen zu gewinnen, die bereit sind, fünf Tage beim Klienten und vier Nächte im Hotel zu verbringen, ist das Schwierigste.
Nach der Finanzkrise verstärkt sich der Trend zur „Work-Life-Balance“. Der Wunsch, nicht mehr fünf Tage beim Klienten zu verbringen, sondern bereits am Donnerstag nach Hause zu fahren und den Freitag im Büro zu verbringen, wird lauter. Zunächst einmal im Monat, später alle zwei Wochen. Und irgendwann hat es sich eingebürgert, dass die neue Regel lautet: vier Tage beim Klienten, dreimal Hotel, ein Tag im Büro.

Im März 2020 wird der erste Lockdown verordnet. Nach dem ersten Schock melden wir ein Zoom-Konto an. Wir führen nun die laufenden Mandate per Video weiter. Ich selbst bin nach anfänglicher Skepsis von dieser neuen Arbeitsweise angetan und sehe uns schon weitgehend von zu Hause aus die Arbeit erledigen. Kurz nach Ende des Lockdowns läutet mein Telefon. Ein Klient ist dran und meint: „Herr Czipin, wenn Ihre Leute nicht wieder bei uns im Betrieb arbeiten, beende ich das Mandat, denn über Video wird die Produktivität nicht steigen. Das sehe ich ganz klar in den Zahlen!“

Bei einer Frage bilden sich Schweißperlen auf meiner Stirn: „Wer wird die Analyse machen?“ Ich brauche zwei Mitarbeiter:innen und habe keine Ahnung, wo ich die finden soll.
Zu Hause nehme ich die Wochenendausgabe der „Salzburger Nachrichten“ zur Hand. Ich studiere den Anzeigenteil, als mir eine kleine Annonce in die Augen sticht: Das Akademikerservice des Arbeitsamtes bietet seine Dienste an. Ich habe zwar keine große Hoffnung, melde mich aber dort – und siehe da: Einige Lebensläufe werden mir zugeschickt. Es gelingt mir, innerhalb von zwei Wochen zwei Akademiker als erste Berater für mein junges Unternehmen Czipin & Partner zu gewinnen. Der Start ist somit gelungen; 25 erfolgreiche Jahre schließen sich daran an. Ich habe in dieser Zeit viele Herausforderungen zu meistern. Mitarbeiter:innen zu gewinnen, die bereit sind, fünf Tage beim Klienten und vier Nächte im Hotel zu verbringen, ist das Schwierigste.
Nach der Finanzkrise verstärkt sich der Trend zur „Work-Life-Balance“. Der Wunsch, nicht mehr fünf Tage beim Klienten zu verbringen, sondern bereits am Donnerstag nach Hause zu fahren und den Freitag im Büro zu verbringen, wird lauter. Zunächst einmal im Monat, später alle zwei Wochen. Und irgendwann hat es sich eingebürgert, dass die neue Regel lautet: vier Tage beim Klienten, dreimal Hotel, ein Tag im Büro.

Im März 2020 wird der erste Lockdown verordnet. Nach dem ersten Schock melden wir ein Zoom-Konto an. Wir führen nun die laufenden Mandate per Video weiter. Ich selbst bin nach anfänglicher Skepsis von dieser neuen Arbeitsweise angetan und sehe uns schon weitgehend von zu Hause aus die Arbeit erledigen. Kurz nach Ende des Lockdowns läutet mein Telefon. Ein Klient ist dran und meint: „Herr Czipin, wenn Ihre Leute nicht wieder bei uns im Betrieb arbeiten, beende ich das Mandat, denn über Video wird die Produktivität nicht steigen. Das sehe ich ganz klar in den Zahlen!“

DIE GRENZEN VON ZOOM. Schlagartig erkenne ich, dass unser Geschäft digital nur sehr eingeschränkt möglich ist. Ich rufe meine Teams an und muss einiges an Überredungskünsten anwenden, um sie wieder auf die „Straße“ zu bringen. Es gilt wieder die Regel von zuvor.
2020 und 2021 gelingt es uns, personelle Abgänge zu kompensieren, aber wir merken, dass immer weniger aktive Bewerbungen kommen. Da wir 2022 große und spannende Mandate gewinnen können, verstärken wir unsere Recruiting-Bemühungen. Vor einigen Wochen wird uns ein 32-jähri-ger Mann empfohlen. Meine Frau lädt ihn zum ersten Kennenlernen per Teams ein. Alles läuft gut. Das Gespräch endet positiv, der Kandidat zeigt Interesse, den Bewerbungsprozess fortzusetzen.
Zwei Tage später bekommen wir folgendes Mail: „Nach langer Überlegung habe ich mich dazu entschlossen, mein Interesse an einer Position bei Czipin zurückzuziehen. Auch wenn ich die Arbeit, die Funktion und die Methoden von Czipin sehr interessant finde, bin ich derzeit einfach nicht in der Lage, bis zu vier Tage und drei Nächte pro Woche bei Kunden zu verbringen. Auf mich hat es gewirkt, als hätte die Firma in den Coronajahren wenig gelernt und die Chance auf Weiterentwicklung nicht genutzt.“
Was viele junge Bewerber übersehen: Die Umsetzungen von Veränderungen, die zu höherer Produktivität führen, sind am ehesten mit Abenteuern vergleichbar – und diese finden auch heute noch in der „real world“ statt.

DIE GRENZEN VON ZOOM. Schlagartig erkenne ich, dass unser Geschäft digital nur sehr eingeschränkt möglich ist. Ich rufe meine Teams an und muss einiges an Überredungskünsten anwenden, um sie wieder auf die „Straße“ zu bringen. Es gilt wieder die Regel von zuvor.
2020 und 2021 gelingt es uns, personelle Abgänge zu kompensieren, aber wir merken, dass immer weniger aktive Bewerbungen kommen. Da wir 2022 große und spannende Mandate gewinnen können, verstärken wir unsere Recruiting-Bemühungen. Vor einigen Wochen wird uns ein 32-jähri-ger Mann empfohlen. Meine Frau lädt ihn zum ersten Kennenlernen per Teams ein. Alles läuft gut. Das Gespräch endet positiv, der Kandidat zeigt Interesse, den Bewerbungsprozess fortzusetzen.
Zwei Tage später bekommen wir folgendes Mail: „Nach langer Überlegung habe ich mich dazu entschlossen, mein Interesse an einer Position bei Czipin zurückzuziehen. Auch wenn ich die Arbeit, die Funktion und die Methoden von Czipin sehr interessant finde, bin ich derzeit einfach nicht in der Lage, bis zu vier Tage und drei Nächte pro Woche bei Kunden zu verbringen. Auf mich hat es gewirkt, als hätte die Firma in den Coronajahren wenig gelernt und die Chance auf Weiterentwicklung nicht genutzt.“
Was viele junge Bewerber übersehen: Die Umsetzungen von Veränderungen, die zu höherer Produktivität führen, sind am ehesten mit Abenteuern vergleichbar – und diese finden auch heute noch in der „real world“ statt.