Es ist immer ein Fehler, die „Stunde der Wahrheit“ auf den letztmöglichen Zeitpunkt zu verschieben, um sich Wickel zu ersparen.

Alois Czipin

JUNG UND AUFGEREGT bin ich, als ich Anfang der 1980er-Jahre höre, dass ich bei einem weltbekannten Unternehmen zum Einsatz komme. Es stellt die Ausrüstung für Fernsehstudios her: Kameras, Mischpulte und alles, was sonst noch dazugehört. Ich bin stolz darauf, für dieses prestigeträchtige Projekt ausgewählt worden zu sein, noch dazu, wo mir auch die erste Beförderung in Aussicht gestellt wird.
Einer der mir zugedachten Bereiche ist der Versand. Dort arbeiten um die 30 Mitarbeiter:innen, und meine Aufgabe ist, Verbesserungen zu ersinnen, die den Personalaufwand um sechs Mitarbeiter:innen reduzieren können. Keine einfache Aufgabe, aber ich bin überzeugt, dass ich sie lösen kann.

Es ist immer ein Fehler, die „Stunde der Wahrheit“ auf den letztmöglichen Zeitpunkt zu verschieben, um sich Wickel zu ersparen.

Alois Czipin

JUNG UND AUFGEREGT bin ich, als ich Anfang der 1980er-Jahre höre, dass ich bei einem weltbekannten Unternehmen zum Einsatz komme. Es stellt die Ausrüstung für Fernsehstudios her: Kameras, Mischpulte und alles, was sonst noch dazugehört. Ich bin stolz darauf, für dieses prestigeträchtige Projekt ausgewählt worden zu sein, noch dazu, wo mir auch die erste Beförderung in Aussicht gestellt wird.
Einer der mir zugedachten Bereiche ist der Versand. Dort arbeiten um die 30 Mitarbeiter:innen, und meine Aufgabe ist, Verbesserungen zu ersinnen, die den Personalaufwand um sechs Mitarbeiter:innen reduzieren können. Keine einfache Aufgabe, aber ich bin überzeugt, dass ich sie lösen kann.

Gemeinsam mit meinem Projektleiter stimme ich die Vorgehensweise ab: Kommunikationsaufbau mit dem Abteilungsleiter, Erstellung von Aktivitätslisten, Erarbeitung des Prozessablaufs, Volumenslisten zur Feststellung der Häufigkeit von Aktivitäten, Beobachtungen zur Erstellung von Planwerten, Erarbeitung eines Personalbedarfsplans, Maßnahmen zur Hebung der Potenziale, Entwicklung eines Steuerungssystems zur Schaffung von Transparenz. Ich habe acht Kalenderwochen Zeit, um all diese Punkte abzuarbeiten.
Gleich zu Beginn der Arbeiten ist der Abteilungsleiter auf Urlaub, und so starte ich mit den Erhebungen ohne ihn. Ich wende mich direkt an die Mitarbeiter:innen und protokolliere die Aktivitäten. Ich habe darin schon einigermaßen Übung, sodass dieser Part überpünktlich abgeschlossen werden kann. In Summe stelle ich mehr als 100 verschiedene Aktivitäten fest. Mir wird klar, dass Planung und Steuerung dieser Abteilung nicht einfach werden. Nachdem der Abteilungsleiter zurück ist, setze ich mich mit ihm in Kontakt und erkläre ihm, wie ich vorgehen werde. Er ist wesentlich älter als ich und unterbricht mich immer wieder. Er gibt mir auch klar zu verstehen, dass er von der Übung und auch von meiner Kompetenz nichts hält. Außerdem stellt er apodiktisch in den Raum, dass er zusätzliches Personal braucht. Ich fühle mich in die Defensive gedrängt und traue mich nicht, ihm das Ziel meiner Arbeit zu nennen: 20 Prozent Abbau seiner Mitarbeiter:innen. Ich habe Angst, dass ich einfach bei der Tür rausfliege. So schweige ich und reduziere meine Kommunikation mit ihm auf das Wesentlichste. Den Plan arbeite ich Schritt für Schritt ab.
Die Prozessaufnahme anhand einiger konkreter Aufträge zeigt genau, mit welchen Schwierigkeiten sie Tag für Tag zu kämpfen haben: falsche Informationen auf den Packlisten, Fehlteile, Suchzeiten, da Teile nicht sendungsgerecht zusammengestellt werden etc. Die Mitarbeiter:innen sagen mir, dass diese Probleme schon oft „nach oben“ gemeldet wurden, aber noch keine Abhilfe geschaffen wurde. Sie haben auch den Glauben verloren, dass sich das je ändern wird.

Gemeinsam mit meinem Projektleiter stimme ich die Vorgehensweise ab: Kommunikationsaufbau mit dem Abteilungsleiter, Erstellung von Aktivitätslisten, Erarbeitung des Prozessablaufs, Volumenslisten zur Feststellung der Häufigkeit von Aktivitäten, Beobachtungen zur Erstellung von Planwerten, Erarbeitung eines Personalbedarfsplans, Maßnahmen zur Hebung der Potenziale, Entwicklung eines Steuerungssystems zur Schaffung von Transparenz. Ich habe acht Kalenderwochen Zeit, um all diese Punkte abzuarbeiten.
Gleich zu Beginn der Arbeiten ist der Abteilungsleiter auf Urlaub, und so starte ich mit den Erhebungen ohne ihn. Ich wende mich direkt an die Mitarbeiter:innen und protokolliere die Aktivitäten. Ich habe darin schon einigermaßen Übung, sodass dieser Part überpünktlich abgeschlossen werden kann. In Summe stelle ich mehr als 100 verschiedene Aktivitäten fest. Mir wird klar, dass Planung und Steuerung dieser Abteilung nicht einfach werden. Nachdem der Abteilungsleiter zurück ist, setze ich mich mit ihm in Kontakt und erkläre ihm, wie ich vorgehen werde. Er ist wesentlich älter als ich und unterbricht mich immer wieder. Er gibt mir auch klar zu verstehen, dass er von der Übung und auch von meiner Kompetenz nichts hält. Außerdem stellt er apodiktisch in den Raum, dass er zusätzliches Personal braucht. Ich fühle mich in die Defensive gedrängt und traue mich nicht, ihm das Ziel meiner Arbeit zu nennen: 20 Prozent Abbau seiner Mitarbeiter:innen. Ich habe Angst, dass ich einfach bei der Tür rausfliege. So schweige ich und reduziere meine Kommunikation mit ihm auf das Wesentlichste. Den Plan arbeite ich Schritt für Schritt ab.
Die Prozessaufnahme anhand einiger konkreter Aufträge zeigt genau, mit welchen Schwierigkeiten sie Tag für Tag zu kämpfen haben: falsche Informationen auf den Packlisten, Fehlteile, Suchzeiten, da Teile nicht sendungsgerecht zusammengestellt werden etc. Die Mitarbeiter:innen sagen mir, dass diese Probleme schon oft „nach oben“ gemeldet wurden, aber noch keine Abhilfe geschaffen wurde. Sie haben auch den Glauben verloren, dass sich das je ändern wird.

ICH FÜRCHTE MICH. Die Berechnung des Personal-bedarfs ist immer ein spannender Moment, so auch dieses Mal. Das Ergebnis zeigt ein Potenzial von über 25 Prozent. Nach Abzug von unvermeidbaren Problemen ergeben sich immer noch 18 Prozent. Zur Umsetzung habe ich ein Bündel von organisatorischen Maßnahmen zur Reduktion von Verlustzeiten erarbeitet. Trotz dieses eindeutigen rechnerischen Ergebnisses fürchte ich mich vor dem Moment der Präsentation.
Zwei Tage später ist es soweit: ich führe den Abteilungsleiter Schritt für Schritt durch die Ergebnisse meiner Arbeit. Aufmerksam folgt er meinen Ausführungen. Mir wird immer banger, je näher ich zum ermittelten Personalbedarf komme. Nach Nennung der möglichen Reduktion um sechs Mitarbeiter:innen ist es zunächst ganz ruhig. Aber dann muss ich einen Wutausbruch über mich ergehen lassen, der es wahrlich in sich hat: „Das lasse ich mir nicht gefallen! Da arbeite ich mir zehn Jahre den A… ab, um mir dann von einem jungen Berater sagen lassen zu müssen, dass ich 20 Prozent zu viele Leute habe!“ Ich bin eingeschüchtert und sage nur noch, dass wir das mit seinem Vorgesetzten besprechen müssen.
Ich berichte meinem Projektleiter, der sich das ruhig anhört und dann sagt: „Wundern darfst du dich über dieses Ergebnis nicht, wenn du so wenig Kommunikation mit dem Abteilungsleiter hattest. Das Vertrauen wieder herzustellen, wird schwere Arbeit.“
Da wird mir bewusst, dass ich einen sehr großen Fehler gemacht habe: Vor lauter Feigheit, eine Auseinandersetzung zu riskieren, habe ich den „Moment der Wahrheit“ auf den letztmöglichen Moment verschoben. Ein Fehler, den ich seither so gut wie möglich vermeide.

ICH FÜRCHTE MICH. Die Berechnung des Personal-bedarfs ist immer ein spannender Moment, so auch dieses Mal. Das Ergebnis zeigt ein Potenzial von über 25 Prozent. Nach Abzug von unvermeidbaren Problemen ergeben sich immer noch 18 Prozent. Zur Umsetzung habe ich ein Bündel von organisatorischen Maßnahmen zur Reduktion von Verlustzeiten erarbeitet. Trotz dieses eindeutigen rechnerischen Ergebnisses fürchte ich mich vor dem Moment der Präsentation.
Zwei Tage später ist es soweit: ich führe den Abteilungsleiter Schritt für Schritt durch die Ergebnisse meiner Arbeit. Aufmerksam folgt er meinen Ausführungen. Mir wird immer banger, je näher ich zum ermittelten Personalbedarf komme. Nach Nennung der möglichen Reduktion um sechs Mitarbeiter:innen ist es zunächst ganz ruhig. Aber dann muss ich einen Wutausbruch über mich ergehen lassen, der es wahrlich in sich hat: „Das lasse ich mir nicht gefallen! Da arbeite ich mir zehn Jahre den A… ab, um mir dann von einem jungen Berater sagen lassen zu müssen, dass ich 20 Prozent zu viele Leute habe!“ Ich bin eingeschüchtert und sage nur noch, dass wir das mit seinem Vorgesetzten besprechen müssen.
Ich berichte meinem Projektleiter, der sich das ruhig anhört und dann sagt: „Wundern darfst du dich über dieses Ergebnis nicht, wenn du so wenig Kommunikation mit dem Abteilungsleiter hattest. Das Vertrauen wieder herzustellen, wird schwere Arbeit.“
Da wird mir bewusst, dass ich einen sehr großen Fehler gemacht habe: Vor lauter Feigheit, eine Auseinandersetzung zu riskieren, habe ich den „Moment der Wahrheit“ auf den letztmöglichen Moment verschoben. Ein Fehler, den ich seither so gut wie möglich vermeide.