Wenn sich Außendienstmitarbeiter verhalten wie ein Komet.

Alois Czipin

DER UNTERSCHIED zwischen Glauben und Wissen ist manchmal so groß, dass es sogar gestandenen Männern die Tränen in die Augen treibt. Aber fangen wir von vorne. Batley im nordenglischen Yorkshire ist ein Ort, der ohne seine berühmte Keksfabrik niemals über seine Ortsgrenzen hinweg bekannt geworden wäre. Als österreichischer Staatsbürger kannte ich die dort herstellten – sogar am englischen Königshof gereichten Kekse – nicht und musste bei der Nennung des Ortes zunächst eine Landkarte bemühen. Die Aufgabe: eine umfassende Analyse des dort ansässigen Unternehmens, das 1.500 Frauen und Männer beschäftigt. Wir schreiben das Jahr 1986, das Jahr des mit freiem Auge sichtbaren Halley’schen Kometen. Und dieses Phänomen ist nur alle 75 Jahre zu beobachten.

Wenn sich Außendienstmitarbeiter verhalten wie ein Komet.

Alois Czipin

DER UNTERSCHIED zwischen Glauben und Wissen ist manchmal so groß, dass es sogar gestandenen Männern die Tränen in die Augen treibt. Aber fangen wir von vorne. Batley im nordenglischen Yorkshire ist ein Ort, der ohne seine berühmte Keksfabrik niemals über seine Ortsgrenzen hinweg bekannt geworden wäre. Als österreichischer Staatsbürger kannte ich die dort herstellten – sogar am englischen Königshof gereichten Kekse – nicht und musste bei der Nennung des Ortes zunächst eine Landkarte bemühen. Die Aufgabe: eine umfassende Analyse des dort ansässigen Unternehmens, das 1.500 Frauen und Männer beschäftigt. Wir schreiben das Jahr 1986, das Jahr des mit freiem Auge sichtbaren Halley’schen Kometen. Und dieses Phänomen ist nur alle 75 Jahre zu beobachten.

Nach einer mühsamen Anreise an einem Sonntag treffe ich am Montagmorgen am Frühstückstisch das Team der für diese Analyse zugeteilten Berater. Es handelt sich um fünf englische Kollegen, die mir auf Anhieb sympathisch sind. Eine Stunde später sehen wir uns dem Management gegenüber. Der CEO hat erst vor wenigen Monaten den Job übernommen und diese Analyse in Auftrag gegeben. Zu seinen Topleuten gehören der Verkaufschef, der letzte aktive Spross der ehemaligen Eigentümerfamilie, der Produktions- und der Finanzchef, ein Vertrauter des CEOs, der ebenfalls erst seit kurzer Zeit am Werk ist. Im ersten Gespräch mit CEO und Finanzchef verstehe ich den Hintergrund für diese Analyse: Trotz aller Produktbereinigungen und Preisoptimierungen ergibt die Planrechnung nur ein sehr mageres Ergebnis. Die Marge liegt ganze zehn Prozentpunkte von der Zielvorgabe des Keks-Konzerns entfernt. Und diese Lücke ist nur mit gewaltigen Verbesserungen zu schließen: nämlich bei der Anlagennutzung und der Personalproduktivität in allen Bereichen, bei der Reduktion des Materialverbrauchs etc. Das Interview mit dem Produktionschefs ergibt, dass auch er Verbesserungen für möglich hält, wenn auch nicht im erforderlichen Ausmaß. Der Verkaufschef hingegen gibt seiner festen Überzeugung Ausdruck, dass er seine große Schar von Verkäufern zur Festigung und zum Ausbau der Marktposition unbedingt braucht. Mögliche Effizienzlücken: Fehlanzeige, da der Einsatz der gesamten Außendienstmannschaft detailliert geplant werde.

Nach einer mühsamen Anreise an einem Sonntag treffe ich am Montagmorgen am Frühstückstisch das Team der für diese Analyse zugeteilten Berater. Es handelt sich um fünf englische Kollegen, die mir auf Anhieb sympathisch sind. Eine Stunde später sehen wir uns dem Management gegenüber. Der CEO hat erst vor wenigen Monaten den Job übernommen und diese Analyse in Auftrag gegeben. Zu seinen Topleuten gehören der Verkaufschef, der letzte aktive Spross der ehemaligen Eigentümerfamilie, der Produktions- und der Finanzchef, ein Vertrauter des CEOs, der ebenfalls erst seit kurzer Zeit am Werk ist. Im ersten Gespräch mit CEO und Finanzchef verstehe ich den Hintergrund für diese Analyse: Trotz aller Produktbereinigungen und Preisoptimierungen ergibt die Planrechnung nur ein sehr mageres Ergebnis. Die Marge liegt ganze zehn Prozentpunkte von der Zielvorgabe des Keks-Konzerns entfernt. Und diese Lücke ist nur mit gewaltigen Verbesserungen zu schließen: nämlich bei der Anlagennutzung und der Personalproduktivität in allen Bereichen, bei der Reduktion des Materialverbrauchs etc. Das Interview mit dem Produktionschefs ergibt, dass auch er Verbesserungen für möglich hält, wenn auch nicht im erforderlichen Ausmaß. Der Verkaufschef hingegen gibt seiner festen Überzeugung Ausdruck, dass er seine große Schar von Verkäufern zur Festigung und zum Ausbau der Marktposition unbedingt braucht. Mögliche Effizienzlücken: Fehlanzeige, da der Einsatz der gesamten Außendienstmannschaft detailliert geplant werde.

Ich gebe also einem der Berater die Aufgabe, mit einem Außendienstler einen ganzen Tag zu verbringen, um dessen Agieren und Produktivität genau unter die Lupe zu nehmen. Der Berater wird morgens von seinem „Probanden“ abgeholt, und los geht die Begleitung. Am Abend bin ich schon sehr neugierig, wie es verlaufen ist. Mein Berater berichtet von schier unglaublichen Vorfällen: schlechte Routenplanung, Supermarktbesuche ohne Kontakt mit dem Marktleiter, Kunden, die total überrascht sind, dass seit langer Zeit wieder einmal jemand vorbeikommt. Ein völlig anderes Bild, als vom Verkaufschef gezeichnet wurde. Sofort gebe ich Anweisung, diesen „Reality-Check“ mit weiteren Außendienstlern zu wiederholen. Die Beobachtungen sind zwar nicht ganz so extrem, zeigen aber ebenfalls signifikante Verbesserungsmöglichkeiten. Laufend gebe ich dem Topmanagement in Einzelgesprächen Feedback über die Resultate der Untersuchungen. Der Verkaufschef schenkt meinen Erzählungen keinen Glauben und meint, dass er in der Präsentation im Rahmen des Topmanagements die Fakten schon zurechtrücken werde.
Ich merke, dass ich ihm auf den Keks gehe, mache mich auf starke Gegenwehr gefasst und bereite mich dementsprechend akribisch auf diese Präsentation vor. Sie beginnt in gespannter Atmosphäre, indem der Verkaufschef feststellt, dass er den Erkenntnissen des Beraterteams keinerlei Glauben schenkt und darum vorschlägt, die Analyse gleich wieder zu beenden. Der CEO meint dazu, dass zunächst die Ergebnisse präsentiert werden sollen, bevor über die weitere Vorgehensweise entschieden wird. Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ beginne ich, die „Reality-Checks“ aus dem Vertrieb zu präsentieren. Die Fakten sind so überzeugend und klar, dass der Verkaufschef zunehmend blasser wird.

Der traurige Höhepunkt ist erreicht, als ich die wörtliche Antwort eines Marktleiters auf die Frage nach der Häufigkeit der Besuche des Außendienstes wiedergebe „Der Halley’sche Komet kommt öfter vorbei!“ Danach sehe ich, wie der Verkaufschef die Fassung verliert und Tränen über seine Wangen rinnen.

Ich gebe also einem der Berater die Aufgabe, mit einem Außendienstler einen ganzen Tag zu verbringen, um dessen Agieren und Produktivität genau unter die Lupe zu nehmen. Der Berater wird morgens von seinem „Probanden“ abgeholt, und los geht die Begleitung. Am Abend bin ich schon sehr neugierig, wie es verlaufen ist. Mein Berater berichtet von schier unglaublichen Vorfällen: schlechte Routenplanung, Supermarktbesuche ohne Kontakt mit dem Marktleiter, Kunden, die total überrascht sind, dass seit langer Zeit wieder einmal jemand vorbeikommt. Ein völlig anderes Bild, als vom Verkaufschef gezeichnet wurde. Sofort gebe ich Anweisung, diesen „Reality-Check“ mit weiteren Außendienstlern zu wiederholen. Die Beobachtungen sind zwar nicht ganz so extrem, zeigen aber ebenfalls signifikante Verbesserungsmöglichkeiten. Laufend gebe ich dem Topmanagement in Einzelgesprächen Feedback über die Resultate der Untersuchungen. Der Verkaufschef schenkt meinen Erzählungen keinen Glauben und meint, dass er in der Präsentation im Rahmen des Topmanagements die Fakten schon zurechtrücken werde.
Ich merke, dass ich ihm auf den Keks gehe, mache mich auf starke Gegenwehr gefasst und bereite mich dementsprechend akribisch auf diese Präsentation vor. Sie beginnt in gespannter Atmosphäre, indem der Verkaufschef feststellt, dass er den Erkenntnissen des Beraterteams keinerlei Glauben schenkt und darum vorschlägt, die Analyse gleich wieder zu beenden. Der CEO meint dazu, dass zunächst die Ergebnisse präsentiert werden sollen, bevor über die weitere Vorgehensweise entschieden wird. Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ beginne ich, die „Reality-Checks“ aus dem Vertrieb zu präsentieren. Die Fakten sind so überzeugend und klar, dass der Verkaufschef zunehmend blasser wird.

Der traurige Höhepunkt ist erreicht, als ich die wörtliche Antwort eines Marktleiters auf die Frage nach der Häufigkeit der Besuche des Außendienstes wiedergebe „Der Halley’sche Komet kommt öfter vorbei!“ Danach sehe ich, wie der Verkaufschef die Fassung verliert und Tränen über seine Wangen rinnen.