Wie ich einem Berater immer wieder Vertrauen geschenkt habe und am Ende mit einer riesen Wut im Bauch dagestanden bin.

Alois Czipin

UNTER VIER AUGEN. Ich hasse sie: diese Anrufe oder Mails am Monats- oder, besser noch, am Jahresletzten und die darauf folgenden Meetings unter dem Titel „Ich muss mit dir mal kurz unter vier Augen sprechen!“. Denn sie laufen immer auf das eine hinaus: „Ich kündige!“ Jedes Mal ist es wie ein kleiner oder auch großer Stich in mein Herz. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Schon fünf Monate nachdem ich die ersten beiden Mitarbeiter angestellt hatte, kündigte einer der beiden während meines Urlaubs. Da war er erstmals: der Stich ins Herz. Und diese Situation erlebte ich auf dem steilen Wachstumspfad unzählige Male. In den 90er-Jahren bewirbt sich ein junger Mann bei mir. Er gefällt mir ob seiner forschen Art und seiner Ambitionen, und ich stelle ihn ein. Er ist ein exzellenter Analytiker, kann gut präsentieren und macht bei seinen ersten Projekten sehr gute Arbeit.

Wie ich einem Berater immer wieder Vertrauen geschenkt habe und am Ende mit einer riesen Wut im Bauch dagestanden bin.

Alois Czipin

UNTER VIER AUGEN. Ich hasse sie: diese Anrufe oder Mails am Monats- oder, besser noch, am Jahresletzten und die darauf folgenden Meetings unter dem Titel „Ich muss mit dir mal kurz unter vier Augen sprechen!“. Denn sie laufen immer auf das eine hinaus: „Ich kündige!“ Jedes Mal ist es wie ein kleiner oder auch großer Stich in mein Herz. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Schon fünf Monate nachdem ich die ersten beiden Mitarbeiter angestellt hatte, kündigte einer der beiden während meines Urlaubs. Da war er erstmals: der Stich ins Herz. Und diese Situation erlebte ich auf dem steilen Wachstumspfad unzählige Male. In den 90er-Jahren bewirbt sich ein junger Mann bei mir. Er gefällt mir ob seiner forschen Art und seiner Ambitionen, und ich stelle ihn ein. Er ist ein exzellenter Analytiker, kann gut präsentieren und macht bei seinen ersten Projekten sehr gute Arbeit.

Er klettert die Karriereleiter rasch nach oben. Nach fünf Jahren ist er Projektleiter und in der Riege der „Junior Partner“, auf die wir „Senior Partner“ für die Zukunft setzen. Jedoch beginnen sich Stimmen Gehör zu verschaffen, die sich über seinen Umgang mit Klienten und Mitarbeitern beschweren. Eines seiner Projekt kommt in große Schwierigkeiten. Beim nächsten ist es nicht viel anders. So entscheiden wir uns, uns von ihm zu trennen. Aber auch bei dieser Kündigung, die ich selbst ausspreche, verspüre ich diesen Stich. Ich halte es für ein Versagen meinerseits, den Mann nicht besser entwickelt zu haben. Ich bekomme mit, dass er zunächst zu einem anderen großen Beratungsunternehmen wechselt und sich zwei Jahre später selbstständig macht. Um 2010 herum kommt er plötzlich auf mich zu, um mir seine Dienste als Freiberufler anzubieten. Ich bin begeistert, denn ich sehe die Chance, die Scharte seines Abgangs auswetzen zu können.

Er klettert die Karriereleiter rasch nach oben. Nach fünf Jahren ist er Projektleiter und in der Riege der „Junior Partner“, auf die wir „Senior Partner“ für die Zukunft setzen. Jedoch beginnen sich Stimmen Gehör zu verschaffen, die sich über seinen Umgang mit Klienten und Mitarbeitern beschweren. Eines seiner Projekt kommt in große Schwierigkeiten. Beim nächsten ist es nicht viel anders. So entscheiden wir uns, uns von ihm zu trennen. Aber auch bei dieser Kündigung, die ich selbst ausspreche, verspüre ich diesen Stich. Ich halte es für ein Versagen meinerseits, den Mann nicht besser entwickelt zu haben. Ich bekomme mit, dass er zunächst zu einem anderen großen Beratungsunternehmen wechselt und sich zwei Jahre später selbstständig macht. Um 2010 herum kommt er plötzlich auf mich zu, um mir seine Dienste als Freiberufler anzubieten. Ich bin begeistert, denn ich sehe die Chance, die Scharte seines Abgangs auswetzen zu können.

Wir setzen ihn vorwiegend für Analysen ein, wo sein Talent zu guten Resultaten führt. Er arbeitet bei Mandaten auch als Experte mit – das funktioniert ebenfalls gut. Ich höre allerdings immer wieder, dass es in der Zusammenarbeit mit den Kollegen große Unstimmigkeiten gibt. Kurz darauf eröffnet er mir, dass er als Manager in ein großes Unternehmen für einen Sanierungsauftrag einsteigen wird. Als er mich zum zweiten Mal verlässt, spüre ich wieder diesen Stich.
Wieder zwei Jahre später steht er vor meiner Tür und erzählt, dass er trotz großer Sanierungserfolge gekündigt wurde. Er versichert, nun sicher zu wissen, dass Beratung für ihn das einzig Wahre ist. Trotz einiger Gegenstimmen nehme ich ihn zum dritten Mal bei mir auf. Und bereue es nicht. Eines seiner Projekt in Deutschland ist mir besonders in Erinnerung, da es so außergewöhnlich gut lief und zu einigen Folgeaufträgen führte. Aber ich höre auch, dass er im Büro niemanden grüßt, mürrisch ist usw. Auf Basis der Erfolge mache ich ihn dennoch zu meiner rechten Hand: Er wird COO.

MUSS MICH SCHÄMEN. Nach dieser Beförderung verändert er sein Aufgabenprofil radikal: Er verbringt immer weniger Zeit mit Projekten, um dort nach dem Rechten zu sehen, sondern ist sehr viel im Büro anzutreffen. Er führt ein neues ERP-System ein, verfasst ein umfangreiches Operations Manual. Alles recht löblich, aber zur gleichen Zeit akquiriere ich ein wichtiges Mandat, das er zu leiten hat. Nur leider macht er das nicht. Ich bemerke den Schaden zu spät, und wir verlieren den Auftrag. In einem sehr harten Gespräch stufe ihn zum Projektleiter zurück. Die danach gezeigte Leistung ist nicht konsistent. Manches gelingt sehr gut, für andere Ergebnisse muss ich mich schämen. Ich entscheide, ihn zum Experten zurückzustufen und nur mehr mit Aufgaben zu betrauen, die seinem Talent entsprechen. Er akzeptiert mangels Alternativen, ist aber sehr enttäuscht und fühlt sich unfair behandelt. Er arbeitet daraufhin an einem sehr komplexen Projekt mit. Mir gegenüber ist er kooperativ, aber ich höre, dass er viel mault und die schlechte Stimmung schürt. „Herr Czipin, haben Sie Zeit für ein Vieraugengespräch?“, fragt mich einige Wochen später der Auftraggeber im Rahmen eines Abendessens.
Der Klient berichtet mir, dass besagter Berater angeboten hat, dieses laufende Projekt um 50 Prozent des Honorars selbstständig weiterzuführen. Mir bleibt der Mund offen, und ich beende die Zusammenarbeit: diesmal ohne Stich, aber mit einer Riesenwut auf mich selbst im Bauch.

Wir setzen ihn vorwiegend für Analysen ein, wo sein Talent zu guten Resultaten führt. Er arbeitet bei Mandaten auch als Experte mit – das funktioniert ebenfalls gut. Ich höre allerdings immer wieder, dass es in der Zusammenarbeit mit den Kollegen große Unstimmigkeiten gibt. Kurz darauf eröffnet er mir, dass er als Manager in ein großes Unternehmen für einen Sanierungsauftrag einsteigen wird. Als er mich zum zweiten Mal verlässt, spüre ich wieder diesen Stich.
Wieder zwei Jahre später steht er vor meiner Tür und erzählt, dass er trotz großer Sanierungserfolge gekündigt wurde. Er versichert, nun sicher zu wissen, dass Beratung für ihn das einzig Wahre ist. Trotz einiger Gegenstimmen nehme ich ihn zum dritten Mal bei mir auf. Und bereue es nicht. Eines seiner Projekt in Deutschland ist mir besonders in Erinnerung, da es so außergewöhnlich gut lief und zu einigen Folgeaufträgen führte. Aber ich höre auch, dass er im Büro niemanden grüßt, mürrisch ist usw. Auf Basis der Erfolge mache ich ihn dennoch zu meiner rechten Hand: Er wird COO.

MUSS MICH SCHÄMEN. Nach dieser Beförderung verändert er sein Aufgabenprofil radikal: Er verbringt immer weniger Zeit mit Projekten, um dort nach dem Rechten zu sehen, sondern ist sehr viel im Büro anzutreffen. Er führt ein neues ERP-System ein, verfasst ein umfangreiches Operations Manual. Alles recht löblich, aber zur gleichen Zeit akquiriere ich ein wichtiges Mandat, das er zu leiten hat. Nur leider macht er das nicht. Ich bemerke den Schaden zu spät, und wir verlieren den Auftrag. In einem sehr harten Gespräch stufe ihn zum Projektleiter zurück. Die danach gezeigte Leistung ist nicht konsistent. Manches gelingt sehr gut, für andere Ergebnisse muss ich mich schämen. Ich entscheide, ihn zum Experten zurückzustufen und nur mehr mit Aufgaben zu betrauen, die seinem Talent entsprechen. Er akzeptiert mangels Alternativen, ist aber sehr enttäuscht und fühlt sich unfair behandelt. Er arbeitet daraufhin an einem sehr komplexen Projekt mit. Mir gegenüber ist er kooperativ, aber ich höre, dass er viel mault und die schlechte Stimmung schürt. „Herr Czipin, haben Sie Zeit für ein Vieraugengespräch?“, fragt mich einige Wochen später der Auftraggeber im Rahmen eines Abendessens.
Der Klient berichtet mir, dass besagter Berater angeboten hat, dieses laufende Projekt um 50 Prozent des Honorars selbstständig weiterzuführen. Mir bleibt der Mund offen, und ich beende die Zusammenarbeit: diesmal ohne Stich, aber mit einer Riesenwut auf mich selbst im Bauch.